25 Jahre auf der Buchmesse

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1984 war mein erster (bewusster) Besuch auf der Buchmesse. Thema war damals das Orwell-Jahr samt gleichnamigem Roman. Damals hießen die allgegenwärtigen Themen Überwachungsstaat, Verlust der Individualität, der „große Bruder“, der einen überall kontrollieren kann. Orwell und sein Werk waren überall präsent – in der Werbung, in den Medien, es war unmöglich, dem Ansturm der Science Fiction zu entkommen. Für mich war es das erste Mal, dass die Nischenliteratur Science Fiction im „Mainstream“ (das Wort gab es damals noch nicht), also in der alltäglichen Kultur ankam. Niemand hätte vermutet, dass so viele der technischen Phantasien in den nächsten 25 Jahren umgesetzt werden. 1984, da lag die technische Umsetzung noch weit in der Zukunft.
Wir – das heißt mein Schulfreund Michael Scheuch und ich – saßen in dem PERRY RHODAN-Programm, das im Rahmen der Buchmesse in einer eigenen Halle stattfand. Wir saßen vor der Box, Erich von Däniken sprach, es gab PERRY-Postkarten und viele, viele Autoren zum Anfassen.
Aber es gab auch kritische Stimmen zur politischen Situation in Deutschland. 1984 waren viele Dinge, die sich in den letzten 25 Jahren bewahrheitet haben, zum Glück nur Spekulation. Es gab noch zwei deutsche Staaten, man bekam noch ein „Geh doch nach drüben!“ an den Kopf geschleudert, wenn man in Diskussionen linke Positionen vertrat, es gab kaum Arbeitslosigkeit – und kein Internet. Das mobile Telefon war ein Mythos, ebenso die leistungsfähigen Rechner.
2009 sind 25 Jahre vergangen, seitdem ich damals zum ersten Mal auf der Buchmesse war. Die 25 Jahre dazwischen war ich immer auf der Buchmesse. Meist nur einen Tag auf dem Fachbesuchertag; schon seit Jahren drücke ich mich um die Tätigkeit als menschliche Sardine am Samstag oder Sonntag auf der Buchmesse. Wenn ich mal Bestseller-Autor bin, dann lasse ich mit mir darüber reden. Im Moment würde ich gerne darauf verzichten, mich tot drücken zu lassen, ohne als Abwehr vier Leibwächter dabei zu haben.
Die Buchmesse wird von Jahr zu Jahr voller. Im selben Rahmen geht das Interesse an Büchern zurück. Ich habe noch nicht ganz verstanden, wie beide Dinge zusammenhängen; dass es einen Zusammenhang geben muss, ist mir aber klar.
Dieses Jahr ist das Gastland China. Und gestern war nicht nur mein Besuchtstag auf der Buchmesse, sondern der hessische Ministerpräsident hatte sich auch angesagt. Es gab Taschenkontrollen im Eingangsbereich jeder Halle, Polizisten und private Sicherheitskräfte patrouillierten die Hallen. Außerdem standen vor der Buchmesse Exil-Tibeter und Exil-Chinesen, die auf die Missachtung der Menschenrechte durch China hinwiesen – was die Veranstalter nicht störte, China trotz der ganzen Informationen über Chinas Innenpolitik trotzdem zu umwerben. Immerhin ist es ein wichtiger Wirtschaftsstandort, ein Partner der deutschen Wirtschaft. Da nimmt man es schon gerne hin, wenn ein paar unwichtige Gesetze gebrochen werden ...
Ich werde sarkastisch. Irgendwann gestern Mittag schlug ich einen geistigen Bogen von 1984 und „1984“ zu 2009. Wir sind in dem Land angekommen, das wir immer befürchtet haben – wir werden auf den Autobahnen gescanned und überprüft, unsere Kommunikation wird gespeichert, unsere privaten Daten sind für uns unlesbar auf Krankenkassenkarten gespeichert. Die persönliche Freiheit, über die eigenen Daten zu verfügen, ist in den letzten 25 Jahren geschrumpft. Aber die Masse ärgert sich nicht, denn diese Zukunft (die ja unser Jetzt ist) hat Plasma-Fernseher, Breitband-Internet und Mikrowellen-Essen.
Ein wenig nachdenklich hat mich das schon gemacht. Daher diese Zeilen.