Gleiche Welten oder Gleichen-Welten?

Aus hermannritter.de
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Man kann man den Umstand bemängeln, dass "der Gleichen" die "Schlaraffia" prägt. Er füllte die "Schlaraffia" mit Charisma, Stimme und der von mehreren Musen geküssten Persönlichkeit. Ich bin bereit meine Hand dafür ins Feuer zu legen, dass seine Wirkungsmacht eine "Schlaraffia" erzeugte, die mehr auf Wagner und charismatische Führungspersönlichkeiten ausgelegt war. Über drei Dekaden nach seinem Tode führten die Zeitumstände dazu, dass die "Schlaraffia" mit einer anderen Impfung im Kindesalter den Stürmen des III. Reiches anders widerstanden hätte – oder sich ergeben hätte. Wir wissen es nicht.
Aber es gibt zwei andere Entwicklungen, welche der Gleichen verhindert hat, weil er der Gleichen war. Es sind kontrafaktische Welten, die in eine "Schlaraffia" führen, die sich nicht entwickeln konnte, deren Wirkmächtigkeit als Alternative aber die Möglichkeit bietet, die schlaraffische Muschel mit anderen Perlen zu füllen.
Die erste Welt ist jene, die ich ein wenig kafkaesk "Gleichens Verwandlung" nenne. Der Gleichen war zu jung dafür, aber später hat die "Schlaraffia" in Prag konsequent an jenen vorbeigelebt, die schriftstellerisch tätig waren. Der Prager Kreis der deutschsprachigen Schriftsteller umfasste Personen wie Franz Kafka, Gustav Meyrink, Franz Werfel und Egon Erwin Kisch. Wie konnte man an diesen Menschen vorbeigehen, wenn man in Prag wohnte, deutschsprachige Kultur förderte und Gleich[en]gesinnte suchte? Was hätte die "Schlaraffia" auf ihr Panier häkeln können, wenn man solche Namen in den Stammrollen abdrucken dürfte. Aber die "Schlaraffia" war deutschsprachig und anti-tschechisch, während der Prager Kreis die tschechische Umwelt wahrnahm und mit ihr interagierte. Der Eilers sprach kein tschechisch, die Zahl der Tschechen in der "Schlaraffia" ist gering und tschechische Kultur und Literatur spiegeln sich nicht im schlaraffischen Tun. In dieser nicht-gewordenen Welt wurde Kafka Schlaraffe. In dieser Welt gibt es Ansätze, nicht gelebte andere Welten, die mit einem Hauch ins Leben geholt eine Wirkungsmacht entfalten, die unfassbar ist. Der ganze Bereich der tschechischen Kultur stände uns offen. Zitieren, persiflieren, kopieren, wobei man die Quellen treu nennt. Und was für ein breites Feld könnten wir hier beackern und beernten. "Pan Tau". "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel". "Shiva und die Galgenblume". "Der kleine Maulwurf".
Sippen wir doch ab und an in "Gleichens Verwandlung". Die "Schlaraffia" ist ein Prager Kind, geben wir Prag und den Tschechen ein wenig von der Dankbarkeit, die ihnen gebührt.
Die zweite Welt würde ich "Gleichens Golem" nennen. Eine mythologisch vorinteressierte Klientel aus der "Schlaraffia" trifft auf die Stadt mit dem heimlichen Herzschlag. Der Weg führt von Gustav Meyrinks "Der Engel vom westlichen Fenster" zu Leo Perutz‘ "Nachts unter der steinernen Brücke". Dann schlagen wir weiter den Bogen – hinein in die tschechische Literatur zu Karel Čapek und seinem "R.U.R.", dem Beginn aller Werke über Roboter. In der deutschsprachigen Literatur hätte man fündig werden können – Hans Dominik, Kurd Laßwitz, Paul Scheerbart ...
Ein wenig mehr Durchhaltewillen als der gesamte Literaturbetrieb, und schön hätte man im Inneren der schlaraffischen Muschel die Phantastik durch jene Jahrzehnte retten können, in denen Schmutz und Schund-Kampagnen dafür sorgten, dass man als Freund jener Literatur neben dänischen Schmuddelheftsammlern und Männern mit Helmen aus Silberpapier seinen Platz im Alkoven der verpönten Spinner fand. Als dann Michael Ende und Ottfried Preußler allgemein akzeptabel wurden, hätte man mit einer durchgehenden Phantastik-Geschichte der "Schlaraffia" hier punkten können. Endlich gäbe es dann in "Gleichens Golem" selbstverständlich Sippungen zu "Raumpatrouille" oder "Auf zwei Planeten" und damit eine Ansprache für Menschen, die mit dem künstlich weiterhin beatmeten Kanon der Literatur aus "Schlaraffias"-Gründertagen wenig anfangen können.
Und wenn die Tarimundis weiterhin den Ball nicht kickt, der mit dem Namen "Frankenstei"“ vor ihren Füßen liegt, dann wird der neue Prometheus irgendwann vorbei kommen und selbst in einer flammenden Fexung dem Reych erklären, dass Mary Shelley in Darmstadt war.
Schlusswort. Wir befinden uns im kontrafaktischen Argumentationsstrang, weswegen ein Beleg nicht zu erlangen ist. Da er von mir auch nicht gewollt ist, erlaubte ich mir das Spielen innerhalb der schlaraffischen Regeln. Ich weiß jetzt schon, dass das nicht jedem gefällt. Der einschnürende Panzer der Tradition hätte dem Graf Gleichen nicht gefallen. Charisma erträgt Regelwerk, es erträgt keine Tradition, weil der Charismatiker frei handeln können muss, um charismatisch zu sein.
Man braucht Mut, um zu einer Sippung einzuladen, in der man über den Prager Kreis und seine Wechselwirkungen mit Tschechen spricht, endlich mal "Der Golem" liest, über "Pan Tau" fext, den Thron in lustigen "Enterprise"-T-Shirts auftreten lässt oder darüber gemeinsam lacht, dass man Witze wie "Das sind nicht die Sassen, die ihr sucht" lustig findet. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Irgendwann heißt es im Vademecum: "Weltraum-Mollusken erobern die Sippung". Graf Gleichen kommt vorbei, wenn er Zeit hat. Da bin ich mir sicher.
In meiner nächsten Fexung erkläre ich dann, was passiert wäre, wenn Sherlock Holmes bei seinem Besuch in Darmstadt auf Graf Gleichen getroffen wäre. Die Geschichte ist aber so bekannt, dass sie hier in diesem ledergebundenen Festheft (mit Lesefaden und Goldschnitt) nichts zu suchen hat. Ist manchmal so.