Loki, Loki, shining bright

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I. Die kurze Einführung

All woes that fall
On Odin’s hall
Can be traced to
base.


"Valhalla", J. C. Jones[1]

Loki ist unter den nordischen Göttern eine Ausnahme – er ist kultlos, ortlos, heil-los. Seine mythische Herkunft liegt im Dunkeln, nur sein Ende ist bekannt. Schon Herrmann schrieb in klarer Erkenntnis der Geheimnisse nordischen Mythologie: "Bei den Griechen lag der siegreiche Kampf der Olympier gegen die Titanen weit, weit in der Vergangenheit, der Germane dachte sich den letzten Kampf seiner Götter in der Zukunft, und nicht die Götter behaupteten die Walstatt, sondern ihre Gegner."[2]
Auf das Ende hin, nicht aus einer heroischen Vergangenheit gespeist; ein Götterhimmel, der auf etwas zu, nicht aus etwas kommend existierte. Das ganze Sein nur als Präludium zum Niedergang.
Die nordischen Götter lebten in Kenntnis ihres Endes, daher sind ihre Vorstellungen von der Vergangenheit weniger farbig als jene der Zukunft. Die uns überlieferten Mythen sind eschatologisch geprägt – vom Ende der Zeit, einem Heil beeinflusst, das schon das Herüberwehen christlicher Vorstellungen beweisen dürfte.

Und es war Loki, der diesen Niedergang der Götter einleitete. Er ist der Auslöser, der wichtige Faktor im Geschehenen. Am Ende der Welt darf Loki das Nagelschiff lenken[3], seine Kinder sind wichtiger Teil der Eschatologie. Sie werden im Rahmen einer gigantischen Blutrache von den Kindern der Opfer getötet.[4] Und er auch.

II. Der riesige Hintergrund

"Loki ist eine der interessantesten Gestalten der nordischen Mythologie, wenn nicht gerade die interessanteste. Als der Geist, der stets verneint, treibt er innerhalb der Götterwelt sein Unwesen (...); er ist bald Ratgeber und Helfer der Götter, bald ihr Possenreißer und Spaßmacher, schließlich aber ihr erbittertster, furchtbarster Feind (...)."

Paul Herrmann "Nordische Mythologie"[5]

Lokis Herkunft ist unklar. Doch seine Familienverhältnisse sind (teilweise) eindeutig. Er hat drei Kinder: die Midgardschlange, den Fenriswolf und Hela (Tod). Alle drei spielen beim Ende der Welt eine wichtige Rolle.
Odin konsultierte, um das Schicksal Balders zu erfahren, die Seherin und Riesin Angerbode oder Angrboda ("die Schadensbotin"[6]), die Mutter von Fenris, Hela und Midgardschlange. Sie war tot, daher musste Odin sie im Totenreich Helas suchen.
Warum war sie tot? Wer ist diese Frau, die Mutter von Lokis Kindern? Warum hatte Loki Kinder mit einer Riesin? War er selbst ein (Halb-)Riese, ungeschlacht, mythisch?
Noch einmal Herrmann: "Die Riesen erscheinen als Heiden aus dem Steinzeitalter, die sich scheu vor den erobernden Menschen zurückziehen und ihren Ackerbau und die Klänge ihrer Kirchenglocken verwünschen."[7]
Für eine Beschreibung der Riesen ist das zu wenig, auch wenn es zutreffend ist. Die Riesen sind älter als die Götter, auch eine der Nornen wird als Riesin bezeichnet.[8] Die Riesen erhalten Runen für die Zauberei[9], doch die Zaubersprüche sind "gar nützlich den Menschen, doch unnütz den Riesen".[10] Warum? Welche Zauberei war den Riesen eigen? Wie konnte sie gegen die Asen bestehen, ihnen ein würdiger Gegner sein?

Ich weiß es nicht. Niemand hat eine Antwort, die mich überzeugt. Zusammenfassend kann ich mich wieder nur Herrman anschließen: "Ihrer [der Riesen] großen Bedeutung bei der Kosmogonie entspricht nicht ihre untergeordnete Stellung in der Eschatologie."[11]

III. Lokis kleine Tat

Loki:
"Hass und Hader,
bring ich den Asen,
so misch’ ich ihnen Gift in den Met."

"Zankreden Lokis", Vers 3

Loki stiftet Balders/Baldrs Tod an. Er ist Beginner und Vollender des göttlichen Endkampfes Ragnarök.
Doch ist er auch schuld? Diese Frage mag eigenartig sein, aber sie wird aus zwei Quellen gespeist. Erstens ist es der Ursprung der Schuldfrage, die eigenartig ist: "Seine [Lokis] Weigerung, um Baldr zu weinen, sein trotziges Brüsten Frigg gegenüber (...) galt ursprünglich als wirklicher Grund für seine Bestrafung; aber ist noch keine Andeutung wahrzunehmen, dass Loki an Baldrs Tötung schuld gewesen sei; der intellektuelle Urheber des Mordes ist Loki in der Dichtung erst um das Jahr 1000."[12]
Ist Lokis Schuld eine spätere Schöpfung, ein Erklären des Ragnarök, das mit seiner ursprünglichen Rolle nichts zu tun hat? Vielleicht; zumindest ist die Theorie interessant (und passt zu meinen folgenden Thesen). Der zweiten Quelle meiner Theorie will ich mich gleich zuwenden.

IV. Die ewigen Blutsbrüder

"»Lebt wohl«, sagte der Wanderer. Sein Umhang wehte um ihn herum, sein Speer drehte sich in die andere Richtung, die Tür fiel zu, und er war fort."

Pul Anderson "Die Trauer Odins des Goten"[13]

Odin: Der große Gute der nordischen Mythologie, die All-Vater-Figur, der Wissende um das Ende der Götter, der trotzdem seine Rolle bis zum Ende konsequent spielt. Doch ist Odin richtig beurteilt, wenn Herrmann über ihn schreibt: "Die alte Welt geht aus den Fugen, aber in unermüdlicher Fürsorge sie so lange wie möglich zu erhalten, auch unter den schwersten eigenen Opfern – das ist ihm [Odin] gelungen."[14]
Odin ist keine Lichtfigur, will es auch nicht sein. Man darf nicht vergessen, welche Ereignisse zum Krieg am Ende der Zeit führen. Die Schuld liegt bei den Göttern. Der erste Eidbruch war der Bruch des Eides der Götter gegenüber den Riesen. Dieser Betrug erzeugt das Ragnarök, sät er doch die Feindschaft, welche die Welt zerstören sollte.
Und auch Odins Handel, die zum Verlust von Hand, Schwert und Auge führen, sind am Ende der Welt töricht. Loki hingegen hilft den Göttern, kampfbereit zu bleiben. Als Thors Hammer verschwunden ist, ist es Loki, der ihn mit Thor zusammen wiederholt.[15] Seine Warnung ist eindeutig:
"Gleich werden Riesen
in Asgard hausen,
holst du dir nicht
deinen Hammer heim."[16]
Warum? Immerhin rettet er damit das Gerät, mit dem die Vernichtung der Welt erst möglich wird. Und was weiß er von der Bedrohung durch die Riesen, die durch die Angst vor Thors Hammer gebannt wird?
Scheinbar will er den Status Quo halten, so lange er kann. Und das macht nur (!) Sinn, wenn er vom Endkampf weiß. Eine eigenartige These. Aber es gibt Indizien dafür, dass Loki in das große Geheimnis eingeweiht ist.
Warum sind Loki und Odin Blutsbrüder? Woher stammt dieser Eid, auf was fußt er?
"Loki:
»Weißt du noch, Odin,
wie in der Vorzeit einst
wir mischten das Blut miteinander?
Sagtest, du würdest
kein Bier je trinken,
außer es würde uns beiden gebracht.«"
[17]
Was war geschehen, dass diese beiden so aneinander band? Ich glaube, dass es das Wissen um das Schicksal war, in dem sie beide ihre Kinder und ihr eigenes Leben verlieren würden. Loki war die einzige Wahl für Odin, um das Geheimnis zu teilen. Wer sonst, wenn nicht der zynische Rätsel-Zauber-Trug-Gott? Und daher ist es Loki, der seine Rolle spielt – aber dafür sich herausnimmt, unter Odins Schutz der Witzbold zu sein, der Dinge tun darf, die kein anderer tun darf. Odin und Loki sind Blutsbrüder, weil sie gemeinsam um das Ende wissen.

Doch war das Geheimnis wirklich ein Geheimnis, das nur Odin kannte? Woher kennen die Götter beim Ragnarök dann das Geheimnis?
"Die Asen treffen
am Idafeld sich, (...)
und denken zurück
an die großen Dinge,
an Göttervaters,
altes Geheimnis."[18]
Und auch die Seherin kennt das Schicksal der Welt:
"Heimreite du, Odin,
freu dich des Ruhms!
So suche keiner mehr
Künftig mich heim,
bis Loki sich löst
aus seinen Banden
und Göttergeschick,
das gewaltige, eintritt."[19]
Was spricht Odin seinem (eigentlich schon toten) Sohn ins Ohr, bevor dieser auf den Holzstoß steigt?[20]
Das Geheimnis kann kein Geheimnis sein, wenn es so weit bekannt ist. Aber es ist auch nicht öffentlich bekannt, eher ein Geheimnis einer kleinen Gruppe, die gemeinsam schweigt, außer sie verplappert sich oder wird zum Reden gezwungen.
Odin kennt den Gang der Welt, aber er nutzt dieses Wissen meiner Ansicht nach, um das Ende der Welt so weit wie möglich zu verzögern. Verschlüsselt wirft auch Loki Odin vor, am Schicksal gedreht zu haben.[21] Wofür hat Odin eigentlich sein Auge bezahlt? Das Schicksal der Welt kannte er schon, als er sich verstümmelte.

Immer wieder wird Loki von Odin geschützt – scheinbar als Ergebnis des alten Bundes, der Loki schützt, so lange dieser das Geheimnis wahrt. Doch Odin ist nicht der einzige, der Loki schützt. Loki wird bestraft, in dem eine Giftschlange ihm Gift ins Gesicht tropft. Seine Frau Sigyn[22] hält eine Schale über sein Gesicht, um ihn vor dem Schmerz zu retten. Macht man das mit jemanden, der die Welt vernichten will?[23]

Meine These ist einfach: Loki weiß durch Odin (oder durch eigenes Erfahren?) vom Ende der Götter. Odin schützt Loki des gemeinsamen Geheimnisses willen. Die beiden schließen einen Bund, bis zum Ende der Welt zu schweigen, da sie ihre Umgebung nicht mit dem Wissen belasten wollen, das zu groß und zu schrecklich ist, um es selbst Göttern anzuvertrauen. Loki bleibt der Zyniker der Götter, der – von Odin geschützt – tun und lassen darf was er will, so lange er hilft, das gesehene Ende zu verwirklichen. So ist zu erklären, warum er Thor seinen Hammer besorgte und warum er seinen Teil im Kampf der Götter spielte.

Doch er wusste und erkannte, wer an dem Krieg wirklich schuld war. Die Asen trugen die Schuld der alten Blutlast und sie werden bestraft. Aber mit dem Fall der Asen endet auch das goldene Zeitalter Asgards, und so versucht Loki alles, um dieses Zeitalter zu verlängern – vergeblich, wie es scheint. Wenn die Zeichen kommen, dann steigt Loki an Deck und lenkt das Schiff zum letzten Kampf.
Und so erfüllt sich das Schicksal, das nicht hätte sein müssen, wenn die Götter ihre Eide gehalten hätten. Loki – der widerwillig zum Feind gemachte Possenreißer – zieht mit seinen Kindern gegen die Götter-Ordnung, um vernichtet zu werden. Das Steuerrad zwischen den Händen fährt er aus, um Familie und eigenes Leben zu verlieren. Aber er stirbt im Wissen, das Ende der Welt mitgestaltet und – soweit möglich – verzögert zu haben.

V. Das kurze Nachwort

"Nur ein sehr naives Zeitalter konnte wähnen, dass des Feuers Macht Segen bringt, solange es der Mensch bezähmt und bewacht. Der Teufel ist ein gewiegter Falschspieler, er lässt den Partner zunächst einmal gewinnen, um ihn dann hinterher umso müheloser ausplündern zu können. Mit dem Feuer, dem Element der Dämonen, lässt sich kein dauerhafter Bund schließen."

Erwin Reisner "Der Dämon und sein Bild"[24]

Dreieinhalb Nachbemerkungen.

Erstens: Ich bin kein Fachmann in nordischer Mythologie, kann weder fünfundzwanzig Namen für "Gehöft" in altisländisch oder altnorwegisch vorschlagen noch wichtige Sätze wie "Noch ein Met für den Magier an Tisch Zwo!" in einer Zunge sprechen, die nordischen Göttern verständlich wäre. Sollte ich nach meinem Tode von Walküren geholt werde (was ich bezweifele), so hoffe ich in der Halle der Helden auf Bedienung nach Handzeichen.

Zweitens: Ich bin kein Mensch, der sich mit Schamanismus beschäftigt. Schamanismus und Religion sind nicht zwei unterschiedliche Seiten einer Münze, sondern eine Holzscheibe und eine Münze. Da ich an Gott oder Götter glaube (nennen wir es Theismus), muss ich auf den Schamanismus verzichten. Mir fehlt daher auch der Zugang, zu Göttern oder göttlichen Welten zu reisen und mich dort selbst umzuschauen. Mir bleibt das Buch, das gesprochene Wort und das eigene Erleben.

Drittens: Meine Annäherung an Loki ist eine vorsichtige. Ich habe große Achtung und Demut vor dem Feuer und der Lohe, die in Loki brennt. Aber Loki fasziniert mich trotz der Warnung, die in Reisner Zitat "Mit dem Feuer, dem Element der Dämonen, lässt sich kein dauerhafter Bund schließen" mitschwingt. Ich will nicht den Fehler machen, mit dem Feuer einen Bund zu schließen. Ich suche einen Mittler, der mir das Feuer erklärt und mir hilft, mehr zu Feuer zu werden oder das Feuer zu erkennen[25]. Dieser Mittler ist für mich – mit aller Demut, die man benutzen muss, wenn man für Menschen, die mehr von nordischer Mythologie verstehen als man selbst, über nordische Mythologie schreibt – Loki. Keiner sonst.

Dreieinhalb: Hey Loki, wir sterben sowieso (fast) alle im Endkampf. Ich würde gerne den Wind in den Segeln spüren und die Waffe für etwas schwingen, an das ich glaube, bevor alles vorbei ist. An Zynismus kann ich glauben, aber eher an einen Eid, der einen zum Schweigen verpflichtet, damit das Leid durch das Wissen um das Ende nicht noch größer wird. Wenn auf deinem Schiff noch ein Platz frei ist ...

Literatur
Anderson, Poul "Die Trauer Odins des Goten" in "Die Chroniken der Zeitpatrouille", München, 1991
Bullfinch, Thomas "The Golden Age of Myth & Legend", Ware, Hertfordshire, 1993 [Reprint]
Häny, Arthur "Die Edda", Zürich, 1992 (4. Auflage)
Herrmann, Paul "Das altgermanische Priesterwesen", Jena, 1929
Herrmann, Paul "Deutsche Mythologie", Berlin, 1992² [Gekürzte Neuauflage]
Herrmann, Paul "Nordische Mythologie", Berlin, 1995³ [Gekürzte Neuauflage]

Reisner, Erwin "Der Dämon und sein Bild", Berlin, 1947


  1. Zitiert nach Bullfinch, 416
  2. Herrmann (b), 378
  3. Ich gehe davon aus, dass das beschriebene Schiff jener bekannte Alptraum der nordischen Maniküren ist ("Die Weissagung der Seherin", Vers 51)
  4. Stellvertretend sei "Die Weissagung der Seherin", Vers 55 genannt.
  5. Herrmann (c), 252 f.
  6. nach Herrmann (c), 115
  7. Herrmann (b), 131
  8. nach Herrmann (c), 57; vgl. ebenda, 101
  9. "Odins Runenbericht", Vers 143/
  10. "Zaubersprüche", Vers 164. Länger könnte ich mich jetzt über den Unterschied zwischen Runen und Zauberei auslassen, doch ich erspare es mir unter Verweis auf Herrmann (a), 38.
  11. Herrmann (c), 99
  12. Herrmann (c), 258 f.
  13. Anderson, 407
  14. Herrmann (c), 202
  15. "Das Thrym Lied"
  16. "Das Thrym Lied", Vers 18
  17. "Zankreden Lokis", Vers 9
  18. "Die Weissagung der Seherin", Vers 60
  19. "Baldurs Träume", Vers 14
  20. "Das Wafthrudnir-Lied", Vers 54 f.
  21. "Zankreden Lokis", Vers 22
  22. Ist sie Walis Mutter? Loki ist ein kinderreicher Gott ... mit Göttinnen, Riesen und was ihm sonst noch so einfällt an Paarungspartnern.
  23. Nach "Von Loki" (Götterlieder)
  24. Reisner, 16
  25. "Erkennen" im klassischen Sinne, so wie in "Erkenntnis".