Tabak und Phantastik

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Ein schlimmes Geständnis voran: Ich bin Raucher. Keine Zigaretten, keine E-Zigaretten. Ersteres hebt mich in den Augen vieler Nichtraucher (für die Zigaretten der Grund alles Übels sind), letzteres sorgt dafür, dass mich die missionierten, elektrifizierten Nicht(Mehr)Raucher entweder für einen Maschinenstürmer, einen Puristen oder einen Volldepp halten. Nein, ich rauche auch keine Zigarillos mehr – am Abend vor meinem 50. Geburtstag wanderten die in den Müll. Sondern ich gönne mir eine Pfeife ab und an und selten, ganz selten, mal eine Zigarre. Also ein Übel, dass ich mir unter anderem mit Groucho Marx und Karl Marx teile. Aber das hilft heute und hier nicht weiter.

Vor einigen Tagen war ich in einem größeren Tabakladen – notgedrungen, möchte man fast sagen, denn kleinere Läden führen nur noch Automatenmarken und Feuerzeuge, während Pfeifenraucherbedarf nur in größeren (und/oder besseren) Läden geführt wird. Es war Samstagmorgen, ich war noch nicht ganz wach. Aber ich hatte noch Zeit, bevor ich weiter musste, daher ließ ich mir ein paar Tabake vorführen. Einer roch gut, ich kaufte eine kleine Dose (weil preisgünstig) und zog ab. Erst Stunden später merkte ich, dass ich Tolkien-Tabak „aufgesessen“ war: Eine Tabak-Dose „Auenland“ ziert jetzt mein Regal.

Über diese Beobachtung kam ich ins Nachdenken. Wer raucht denn noch in der Phantastik außer unsterblichen Istari-Zauberern im „Herrn der Ringe“ und kleinwüchsigen Halbmenschen mit haarigen Füßen (bei denen Rauchen sie auch nicht hässlicher macht und die Haut altert a la Gollum auch ohne Tabakgenuss)? Früher, ach, früher, da haben sie alle geraucht. James Bond war ein guter Raucher, in vielen Raumschiffen konnte man in aller Ruhe eine anstecken, bevor man in den Kampf flog („Perry Rhodan“ muss hier als Beispiel herhalten, weil ich mich an Aschenbecher auf den Konsolen erinnere), die Wissenschaftler in den DC-Comics des „silver age“ hatten immer eine Pfeife im Mundwinkel (ohne die man nicht zum Wissenschaftler wird).

Und heute? Nichtraucher a la Kojak (der im Pilotfilm noch Kette rauchte), Gesundheits-Mutanten und vegane Weganer, das wird die Zukunft der Zukunft, wenn man der Gegenwart glaubt. Dabei ist das so unrealistisch wie nur irgendetwas. Immerhin verändern sich Moden und Lebensstile so schnell und hektisch wie sonst nicht. Man möge doch einfach mal über das Verhältnis zu männlicher oder weiblicher Homosexualität in Europa 1715, 1815, 1915, 2015 und 2115 nachdenken. Ist es dann noch realistisch, dass man 2115 wie 2015 denkt? Zum Tode von Pierre Brice habe mir noch einmal „Die Mädchen aus dem Weltraum“ angesehen – die Welt der 1960er im Weltraum gespiegelt. Wie so oft.

Aber mit Drogen (besonders Alkohol) und Zigaretten (oder Rauchwaren allgemein) ist es wie mit dem Blick auf die Sexualität: Nichts spiegelt die Gegenwart so gut und damit gleichzeitig schlecht wie die Science Fiction. Die Botschaft ist klar: wir haben in 500 Jahren Raumfahrt, aber immer noch die Ehe, Alkohol/keinen Alkohol (abhängig vom Jahrzehnt, in dem der Film gedreht worden ist) – und das gilt genauso für das Verhältnis zu Sex wie das zu Tabak.

Die Science Fiction ist als „Science“ immer dann stark gewesen, wenn es um Naturwissenschaften ging. Bei allen anderen Fragen verliert sie … wobei es großartige Ausnahmen gibt. Beispiele: den Film „Zardoz“, das Buch „Die Herrschaft des Zufalls“ von Gilles de Argyre, den Comic „Und wir träumten von der Zukunft: Eine Geschichte von Hoffnung und Wandel“ von Brian Fies und alle CDs von „Devo“.

Wenn die Science Fiction ihrem Originalversprechen folgen und wirklich fiktives wissenschaftlich schildern würde … dann gäbe es mehr in ihr, das mich reizt. Und weniger, das mich langweilt (oder einfach nur unterhält).