Wer nicht die Welt in seinen Freunden sieht

Aus hermannritter.de
Version vom 10. Februar 2024, 13:02 Uhr von Hermann Ritter (Diskussion | Beiträge) (Die Seite wurde neu angelegt: „Schlaraffen hört!<br> Man verzeihe mir jetzt schon eine kurze geführte Reise am Thema vorbei; aber die Vorerklärung ist notwendig, um hoffentlich am Ende da…“)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Wechseln zu: Navigation, Suche

Schlaraffen hört!
Man verzeihe mir jetzt schon eine kurze geführte Reise am Thema vorbei; aber die Vorerklärung ist notwendig, um hoffentlich am Ende das Thema mental zu harpunieren.
Friedrich der II., den wir besser unter dem Namen Barbarossa kennen, wurde von seinen Zeitgenossen später "stupor mundi" genannt, "das Erstaunen der Welt". Sein Leben fällt in jene Epoche des deutschen Mittelalters, die wir zu Recht das "hohe Mittelalter" nennen. Während die Prager Gründer der "Schlaraffia" den Rückblick in das 16. Jahrhundert wagten und ihre erträumte Zeitrechnung dort anschließen ließen, wo mit Maximilian I., genannt "der letzte Ritter", das Mittelalter endete, ist Friedrich der II. die Verkörperung einer Ära, die es so nie gegeben hat.
Wir erinnern uns in Beiden nicht an das tatsächliche Mittelalter, sondern an eine Fiktion, ein gefühltes Mittelalter, das wir an Dingen und Tugenden festmachen, die wir selbst anstreben. Wir erinnern uns ihrer als Aushängeschilder einer Welt, die es nicht gab, aber durch sie wird diese Welt handhabbar und erfahrbar. Die Verlagerung in ein mystisches Zeitalter bildet eine Parallele zur utopischen Darstellung der Welt. Thomas Morus, der Autor der "Utopia" und Zeitgenosse Maximilians, war sich des doppelten Klanges seines Begriffs "Utopia" bewusst, der zwischen Nicht-Welt (un-topia) und Schön-Welt (eu-topia) gespannt war. Er beschrieb ein Land und eine Staatsform, die es nicht gab, aber die für ihn erstrebenswert waren.
So ist es mit der Welt, die wir beschreiben und erfühlen, wenn wir an das hohe Mittelalter denken. Eine Welt ohne Flugzeug und Kühlschrank, ohne Impfstoffe und Grundrechte in der Verfassung, ohne moderne Verkehrsmittel, Warmwasseranschluss und Zahnseide. Aber dafür erfüllt mit hehren Gestalten und gefüllt mit Idealen von Rittertum und Minne, von Treue und Ehre.
Das Turney-Thema ist ein mittelalterliches Thema; es postuliert einen Freundschaftsbegriff, der doppelt interpretierbar ist. Das eine ist der Grundwert der Freundschaft, für den der Freund Teil der Welt und die Welt nichts ist ohne Freunde. Aber es liegt noch mehr darin, nämlich eine Erinnerung an das Staunen der Welt.
  Denn wir können die Welt nur einseitig, eindimensional erfahren, wenn wir sie alleine erfahren. Erst durch den Blick des anderen, nämlich durch unseren Versuch, des Freundes Blick auf die Welt zu würdigen und uns anzueignen, erhält die Welt aus ihrer Eindimensionalität heraus eine zweite Ebene. Es reicht nicht nur, den Freund zu sehen – wir müssen lernen, die Welt durch seine Augen zu betrachten. Das "Staunen der Welt" ist immer auch das Staunen des Freundes; es ist das Staunen von Kindern, die die Welt betrachten, der eigenartige Blickwinkel des Narren genauso wie der abgeklärte Blick des Weisen.
Die Welt spiegelt sich im Freund und der Freund spiegelt sich in der Welt. Jeder Freund ist eine weitere Facette im bunten Glasfenster der Welt, ein weiterer Mosaikstein der Wahrnehmung, eine neue bunte Seite im Leporello des Lebens.
Lulu!