Castle Falkenstein

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Abenteuer Steampunk

Autor: Michael A. Pondsmith
Verlag: Truant/Edition Erlkönig, 1997
Preis: DM 65,-

Das erste, war mir an Castle Falkenstein ins Auge stach, war die wunderschöne Aufmachung. Das beginnt schon bei dem bunten Cover, auf dem Ludwig II. von Bayern ein Schwert schwingt, während sich vor der Kulisse Neuschwansteins (?) ein Elf und ein Preuße mit Säbeln duellieren.
Die Qualität der Illustrationen bleibt im ganzen Werk überdurchschnittlich. Schön ist auch die optische Trennung zwischen Hintergrund (erster Teil) und Regeln (zweiter Teil). Dies ist nebenbei der einzige Punkt der Betrachtung des Werkes, in dem mir die englische Ausgabe ein wenig besser gefällt. Dort ist nicht nur die Aufmachung der unterscheidende Punkt, sondern beide Teile sind darüberhinaus aus unterschiedlichem Papier gefertig.
Der Hintergrund des Spieles ist sehr lustig. Es geht - a la Burroughs oder Akers - um ein geheimnisvolles Paket, das an Mike Pondsmith geschickt worden ist. Drinnen befinden sich die Aufzeichnungen Thomas Edward Olams, eines ehemaligen Mitarbeiters Pondsmiths.
Diesr Olam wurde durch eine Beschwörung in eine Parallelwelt verschlagen, von der aus er jetzt berichet. Netterweise illustriert er seine Erkenntnisse auch gleich selbst. Seine Illustrationen sind - wie schon einmal erwähnt- überdurchschnittlich; außerdem tut es Castle Falkenstein gut, dass die Optik der Illustrationen durchgehend einem Stil folgt.
Die Welt, in die es Olam verschlagen hat, ist eine Alternativwelt namens Neuropa (nebenbei eine sehr schöne Übersetzung des "New Europa" im Original). Dort leben neben den Menschen noch die Elfen unter König Auberon; und Ludwig II. ist König von Bayern und baut Märchenschlässer. Oder ist es überhaupt der Ludwig unserer Geschichte? Anzeichen sprechen dafür, dass es ein Ludwig aus einer dritten Welt ist, den es nach Neuropa verschlagen hat ...
Wie auch immer. Olam ist nun Teil einer Welt, in der es nicht nur böse Preußen und gute Bayern, sondern auch böse und gute Elfen, Zwerge, Drachen usw. gibt. Schön werden die Zwerge erklärt. Die gibt es hier natürlich auch - und endlich wird die Frage des Bartwuches bei Zwerginnen geklärt. Es gibt nämlich gar keine Zwerginnen - Zwerge paaren sich mit Frauen anderer Rassen; die männlichen Kinder sind Zwerge, die weiblichen Kidner schlagen nach der Mutter (was auch immer die so sein mag ..). Also: Keine Bartproblematiken bei Zwergen.
Und andere Dinge werden auch gelöst. So hat die Kirche - netterweise - die Magie anerkannt. Und Elfen und Menschen haben schon vor Jahrtausenden einen Friedensvertrag geschlossen.
Auch auf der geografischen Ebene ist einiges anders. Das Rheintal ist hier ein Meer - das achte Weltmeer ("Herr der 8 Meere"). Nördlich von Würzburg und westlich von Bayreuth beginnt der Strand ... Zwischen Hamburg und Köln liegt Wasser - viel Wasser, tiefes Wasser!
Aber das ist nicht der letzte Unterschied zwischen unserer Welt und der Welt von Castle Falkenstein. Dort scheint sich nämlich Klischee an Klischee zu schmiegen - und die dadurch entstehende Mischung gefällt mir sehr gut! Vom Drachenreich im fernen Osten über die fliegenden Teppiche der Ottomanen, über das Indianerreich in Nordamerika schweift der Blick hin zu so bekannt-unbekannten Orten wie Preußen und Bayern.
In der Gegenart der Spielwelt (gleichzeitig auch der Hintergrund für die Ausführungen Olams) geht es um den "Zweiten Pakt", einen neuen Vertrag (!) zwischen Menschen und Fremdrassen. Und Olam spielt eine nicht unwesentliche Rolle dabei. Die Hintergrundgeschichte ist wirklich wunderschön und angenehm in einem Rutsch zu lesen (zumindest ging es mir so ...).
Der Hintergrund wird vor einem opulent ausgebreitet. Da gibt es die faszinierende Dampftechnik. Oder eine Kurzeinführung in die Personenwelt von Castle Falkenstein - von Karl Marx bis Captain Nemo sind hier alle vertreten. Sehr schön sind auch die Beispiele zu Anachromechanik (das Wort ist viel eleganter als das englische "Anachrotech") und zu den Waffen.
Die Bösewichter ("Schurken, Gesindel und Halunken") sind überzeugende Abziehbilder zwar, aber genau das sollen sie ja in diesem Hintergrund sein. Helden sind heldisch, Schurken sind schurkisch.
Die pseudo-viktorianische Welt wird in vielen Aspekten erklärt. Man erfährt etwas über Reisezeiten, Kleidung, Duelle und die Rolle der Ehre, die Währung, die vorhandenen Sprachen und über die verschiedenen Reiche des Planeten samt ihrer Armeen. Man betrachte sich zum Thema Flugwaffen einmal das Foto auf S. 126 auf dem Kopf. Aber auch andre Waffengattungen samt ihren Geheimwaffen werden umfassend dargestellt.
Die Magie heißt hier - sehr passend - Zauberey. Und man kann sich vielen Gruppen anschließen, so den (wohl unvermeidbaren) Illuminaten von Bayern, dem Hermetischen Orden der Goldenen Dämmeruing ("Golden Dawn"), den Templern, den Freimaurern etc.
Soviel zum Hintergrund.
Man möge mir verzeihen, wenn ich nicht mehr als unbedingt nötig auf die Regeln eingehe. Castle Falkenstein ist das klassische Hintergrund-gestützte Spiel. Die Regeln sind nur Beiwerk: schmückend zwar, aber nicht zwingend notwendig.
Also: Die Regeln beruhen nicht auf Würfeln, sondern auf Spielkarten. Gentlemen würfeln nämlich nicht, sie zocken. Behauptet zumindest der Prince of Wales (Whales?), und der muss es wissen. Also: keine Würfel!
Man erhält ein paar Pokerkarten (sollte man besitzen, die liegen nicht bei), die wiederum - je nach Farbe - bestimmte Fähigkeiten zugeordnet sind. Karten- und Fähigkeitswert ergeben dann in der Summe die Erfolgschancen einer Handlung.
Nach den - kurz gehaltenen - Grundregeln erhält man noch eine Menge Plot-Hinweise, eine Liste von Berufen und eine Liste von Fähigkeiten. Schpn fand ich die Idee eines Spielberichtes in Form eines Tagesbuches, das während der Abenteuer geführt werden sollte.
Alle Beispiel werden mit vielen Tips untermauert; besonders bei den Kampfregeln und im Probearbeiten sind diese sehr hilfreich.
Eigenartig finde ich es zwar, den Spielleiter als "Gastgeber" zu bezeichnen (mal wieder ein neuer Begriff, um mich zu verwirren). Aber vielleicht das eine zu verstehende Verbeugung vor dem viktorianischen Hintergrund des Spieles. Und nicht mehr. Eine umfangreiche Bibliographie rundet den Band ab. Und ich meine das auch so - Castle Falenstein ist ein rundum rundes Werk, das in sich schlüssig ist.
Und man braucht nicht vier weitere Bände, um das Regelwerk spielbar zu machen- mit diesem einen Band hier kann man eigentlich schon loslegen!
Für Freunde des viktorianischen Zeitalters ein Muss. Für Freunde schön gemachter Regelwerke ein Muss. Und da es kein Space 1889 mehr gibt, ist Castle Falkenstein sicherlich das beste viktorianische Rollenspiel auf dem Markt.
Sorry, ich muss fort - mein Zeppelin wartet nicht.