Die Entdeckung Deutschlands

Aus hermannritter.de
Wechseln zu: Navigation, Suche

Britta Lange
Die Entdeckung Deutschlands – Science-Fiction als Propaganda
Verbrecher Verlag, Berlin (2014)
103 Seiten
ISBN 978-3-95732-019-3

Der Klappentext hatte mich gepackt: "Die Erde aus der Ferne betrachtet – und doch ganz nah. Der Erste Weltkrieg als unsichtbares Geschehen – von Marsianern unter die Lupe genommen. Ein kurzer Film aus dem Deutschland von 1916, Propaganda, Dokument und Erzählung und Geschichte und Geschichten ineinander verschlungen."
Lange schreibt packend über einen verschollenen Film – wie oft bei Stummfilmen jener Ära ist nicht klar, welche Version wo gezeigt wurde und wie lang andere Versionen (oder die tatsächlich ins Kino gebrachte Version war). Ich kenne das aus der Entstehungsgeschichte von "Metropolis", daher war ich interessiert und vermutete keine heidnischen Bezüge im gesamten Werk.
Die Einschätzung war erst einmal richtig: Der 1971 entdeckte Film "Mit dem Flugball zur Erde" ist ein fünfaktiker Stummfilm, eigentlich "Die Entdeckung Deutschlands durch die Marsbewohner".[1] Die Zwischentitel schildern einen Besuch von zwei Marsbewohnern an der deutschen "Heimatfront". Erst geht es um den Mars, dann München und Berlin mit einer folgenden Betriebsbesichtigung.[2]
Dann holt Lange aus und schildert einen weiteren deutschen Propagandafilm aus dem Ersten Weltkrieg namens "Ägir".[3] Sie selbst schreibt zu dem Film:
"Im Jahr 1918 produzierte und inszenierte Julius Pinschewer (1883-1961), ein Pionier des deutschen Werbefilms, im Auftrag der Deutschen Reichsbank einen vollständig überlieferten Kriegsanleihe-Werbefilm in zwei Akten unter dem Titel »Ägir. Ein Film-Festspiel«. Ägir ist in der germanischen Mythologie der Riese des Meeres und des Biers. Im Film thront und tafelt der »König der Meere« in seinem Königreich unter Wasser, von Meerjungfrauen umspielt, als ihn die Untersee-Post mit folgender Meldung erreicht: »Freitag, 16. August 1918. London, Drahtmeldung Reuter: Wie man in den Ländern der Entente erwartet, wird der neuen deutschen Kriegsanleihe ein großer Misserfolg beschieden, der den Zusammenbruch Deutschlands aller Welt vor Augen führen wird.« Ägir, gespielt von Wilhelm Diegelmann, entschließt sich daraufhin, diese Nachricht vor Ort zu überprüfen. Er materialisiert sich auf einem deutschen U-Boot, das auf dem Meer Wache schieb. Der Kapitän kommt der Bitte Ägirs nach, ihn ins Deutsche Reich zu bringen und lässt ihn von einem »Seeflugzeug« abholen. Im Kieler Hafen besteigt der Meeresgott einen Sonderzug nach Berlin. Der zweite Akt ist Ägirs Besuch in der Hauptstadt gewidmet. Bei seiner Ankunft verscheucht er zunächst einen kurbelnden Kameramann (…) und lässt sich in einem Auto durch das Brandenburger Tor die Linden hinunter bis zur Reichsbank kutschieren. Im Bankgebäude beobachtet er unterschiedlichste Vertreter der Bevölkerung, die einvernehmlich die Kriegsanleihe zeichnen: alte Menschen, junge Mädchen, verwundete Soldaten. »Überzeugt von dem ungebeugten Willen des deutschen Volkes durchzuhalten, kehrt Ägir zum Meer zurück» – nicht, ohne sich vorher von der deutschen Hochseeflotte zu verabschieden, ein dreifaches Hoch auf den Kaiser auszubringen und noch einmal zur Zeichnung der Kriegsanleihe aufzufordern."[4]
Man kann den Film online anschauen[5], was sich tatsächlich lohnt.
Dass die germanischen Götter nicht auf Seiten des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg oder des Dritten Reiches im Zweiten Weltkrieg standen, würde ich einmal als gesetzt annehmen. Selbst wenn sie es getan hätten: Kriegsanleihen waren (und sind) kaum Teil ihrer Aufgaben.
Aber interessant ist doch, dass vor etwas über 100 Jahren die germanischen Götter noch so "nahe" waren, dass man sie einsetzen konnte, ohne sie groß erklären zu müssen. Und ebenso interessant ist, dass die Rückbeziehung der Führung auf den Rückhalt der germanischen Götter nicht erst im III. Reich entstand, sondern vorher schon üblich war (was ich wusste, aber ich hatte nicht gewusst, dass es sich auch auf den Werbefilm erstreckt).

Das Überleben der germanischen Götter außerhalb des unseligen Wagner-Universums kann hier an einem weiteren Beispiel bewiesen werden – und das Werk ist dann noch unterhaltsam zu lesen und mit 103 Seiten angenehm "schmalbrüstig".


  1. Nach Lange, S. 7
  2. Nach Lange, S. 23
  3. Nach Lange, S. 43
  4. Lange, S. 43 f.
  5. www.filmportal.de/video/aegir-ein-film-festspiel (30.05.2023)