Faust-Turney

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Schlaraffen hört!

Während schon zu den Lebzeiten des Ehrenschlaraffen Faust sein Werk fast der verdienten Vergessenheit anheimgefallen ist, gibt es heute wieder verstärkt verhaltensgeschädigte Leser mit eingeschränktem literarischem Geschmack, die aus seinem in weiten Teilen unlesbaren Werk voller Selbstreferenzen und grammatikalischer Abstrusitäten Parallelen zur Entwicklung der modernen Gesellschaft ziehen wollen.
Wir kennen diese Effekte, die wie die Deutung von Rorschach-Bildern sinnlosen Textfragmenten Bedeutung geben wollen, weil unser menschliches Gehirn aus Bedeutung Beruhigung bezieht. Jede Epoche deutet die Verse des Nostradamus anders, Höhlenbilder kann man dank moderner Technik immer neu interpretieren und selbst die Verse des Ehrenschlaraffen Faust finden heute Menschen, die sich daran machen, sie zu lesen.
Mir selbst habe ich diese Lesereise im großen Bogen erspart, weil ich durch Untersuchungen gestützt davon ausgehe, dass ähnlich wie bei Samuel Friedrich Sauter und Jakob Wassermann die Überhöhung des literarischen Werks keine objektivierbaren Gründe hat, sondern alleine einem aus dem tiefsten Herzensgrund heraufblubbernden Gefühl geschuldet ist, das schwurbelig all jenes Geschriebene zu etwas verklärt, was tatsächliche Kunst und damit selbsterklärend ist.
Beim heute im Titel genannten Text handelt es sich um ein Einzelstück, das überraschend wieder aktuell geworden ist. Denn erst die Gebietsreform der 70er Jahre und der Städtebau der 80er Jahre haben dieses volkstümliche Gedicht zu dem gemacht, was es heute ist – nämlich verständlich.
Warum? Erst die Verlegung von Verkehrswegen in die Innenstadtbereich machte Wahrnehmungen wie "so spät durch" möglich. Wo vorher abends kein Verkehr zwischen Bürgerbauten entlanglief, wurde nun der Anwohner in steigendem Maße belästigt und äußerte diese Belästigung verbal, notfalls auch wie hier im Reim.
Und wenn die Gebietsreform nicht gewesen wäre, dann wäre auch der Rest des Textes unklar. Wie ein Palimpsest, das nur durch Wiederbeschreiben Sinn macht, erkennen wir vielleicht unter der ersten Textebene Bedeutungsfragmente, können diese aber nicht deuten.
Ach, die Gebietsreform. Schöne Orte wie Jugenheim an der Bergstraße verschwanden in ihr, genauso wie die nun zu Bielefeld gehörenden Reservate städtebaulichen Versagens Sennestadt, Gadderbaum und Prusewunkel an der Plunze. Und wenn nicht der schöne, beschauliche ostwestfälische Weiler Windheim mit der aus vier Bauernhöfen bestehenden Kommune Nachtstätten zur Verbandsgemeinde Nachtundwind zusammengelegt worden wäre … dann, ja dann wüsste kein Mensch, was die sinnlose Kombination aus "Nacht und Wind" uns sagen soll.
Der Ehrenschlaraffe, er ist nur durch die Gebietsreform verständlich. Was mehr über die Gebietsreform als über den Ehrenschlaraffen aussagt. Aber der Erkenntnis ist es egal, wie man sie erlangt.

Lulu!