Germanenideologie

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Martin Langebach (Hrsg.) "Germanenideologie – Einer völkischen Weltanschauung auf der Spur"
Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, 2020

Einen interessanten, aber nicht homogenen Mix bildet dieser Band. Es wäre auch vermessen zu glauben, dass man als Heide bei diesem Thema einen Sammelband findet, der im "Mainstream" erscheint und exakt das wiedergibt, was man sich selbst wünscht. Es wäre fatal, dies vorauszusetzen, denn nur am Diskurs kann man wachsen.
Eine "Einleitung" zu einem solchen Band ist oft eine Pflichtübung, so auch hier der Text von Martin Langebach zu Beginn des Bandes. Lesbar, aber nicht zielführend.
Mischa Meier führt mit "Caesar hat die Germanen erfunden – oder doch nicht?" historisch in das Thema ein. Gut lesbar, passend illustriert, inhaltlich nachvollziehbar – gut gemacht.
Ingo Wiwjorra widmet sich mit "Der Germanenmythos in der deutschen Altertumsforschung des 19. Jahrhunderts" eines hochinteressanten Themas, dass er – auch wegen der vielen Bildbelege – gut lesbar aufarbeitet.
Mit dem Titel "Die Germanen im völkischen Weltanschauungskosmos" hat sich Uwe Puschner ein weitgefasstes Thema gesucht. Gut ist es, dass er versucht, die Sachverhalte auf Kernthemen zu reduzieren. So schreibt er beispielsweise:
"Die beiden Hauptformen »arteigener« Religion bestanden erstens in einem von seinen jüdischen Fundamenten gelösten vornehmlich vom völkischen Antisemitismus begründeten Deutschchristentum, das einen arisch-germanischen, heroischen Christus konstruierte. Die zweite Form strebte nach einer Erneuerung germanisch-deutscher Religiosität auf der Grundalge der – aufgrund mangelnder Zeugnisse weitgehend unbekannten – Religion der vorchristlichen Germanen".[1]
Schwierig wird es nur, wenn er im letzten Absatz noch schnell eine inhaltliche Runde dreht:
"Die Völkischen schufen also (…) mit ihrem genuinen Denkstil die in den Mantel der Wissenschaftlichkeit gewandeten Denkmuster für den Nationalsozialismus und in der Folge für den Rechtsextremismus sowie auch für subkulturelle Bewegungen wie New Age, Esoterik, Fantasy und sogenanntes Neuheidentum, in denen Elemente der völkischen Germanenideologie gegenwärtig sind."[2]
Inhaltlich kann man hier diskutieren, wenn es um die Denkmuster und ihre Tradierung geht, aber die Bezeichnung von Fantasy etc. als "Subkultur" lässt darauf schließen, dass der Autor in den letzten zehn Jahren weder einen Kinosaal noch einen Buchladen betreten hat, denn die mediale Präsenz des Genres der Fantasy ist inzwischen zu einer sehr wohl zitierbaren Omnipräsenz geworden, die man in einer Subkultur suchen müsste, da sie (wie wahrscheinlich auch New Age und Esoterik) längst im "Mainstream" angekommen sind.
"Archäologie, Germanen und Wikinger im Nationalsozialismus" ist das Thema für Uta Halle. Sehr gut lesbar, gut illustriert und gerade wegen des Exkurses zu den Externsteinen für mich mit Lokalkolorit aufgeladen.
Ärgerlich sind in einem solchen Band Beiträge wie "Die »Germanen« und »wir« – Germanenbilder in gegenwärtigen Geschichtskulturen" von Miriam Sénécheau. Beim Lesen wundert man sich, warum Behauptungen wie die folgende ohne Beispiele aufgestellt werden:
"Die Kultur der »Wikinger« in Darstellungen über die »Germanen« einzubeziehen, ist im Übrigen ebenso populär wie eine Zuordnung der Götter und Helden der »nordischen Mythologie« zu den »Germanen«. Mit besonderer Begeisterung werden diese Themen auf Mittelaltermärkten und Wikingerfesten, bei Rollen- und in Computerspielen sowie in verschiedenen Musikszenen aufgegriffen; »nie haben mehr Menschen Odin- und Thor in ihren Körpern oder als Schmuckstücke mit sich herumgetragen« (Penke/Sahm 2018: 88). Kino- und Netflix-Serien, Comics und Fantasyromane spielen in »germanisch-nordischen« Welten, Wikingerfestivals boomen (vgl. Ebbinghaus 2018)."[3]
Eine Unterscheidung zwischen rechts und rechtsextrem findet nicht statt, Behauptungen werden ohne Beleg aufgestellt:
"Wer Literatur zur deutschen Ur- und Frühgeschichte oder zu den »Germanen« sucht, wird schnell bei neu beziehungsweise als Faksimile herausgegebenen Werken der NS-Zeit fündig – und damit auch im rechten Feld des deutschen Verlagswesen, wo sich einzelne kleinere Verlage auf die Herausgabe vor allem propagandistischer Schriften aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts spezialisiert haben."[4]
Im Text gibt es dann Hinweise wie "ausführlicher: Sénécheau 2015"[5]. Das erklärt sich, wenn man die genannte Literatur[6] durchsieht: 52 Einträge, davon 7 Mal Sénécheau, ein gemeinsamer Band Gehrke/Sénécheau, ein Buch (Beck/Timm) mit einem Beitrag von Sénécheau, dann 8 Mal ein weiterer Autor (Ebbinghaus) … und schon schrumpft so ein Quellenapparat unauffällig zusammen.
Der abschließende Beitrag von Karl Banghard und Jan Raabe zu "Das Germanenbild der extremen Rechten nach 1945" glänzt immerhin mit einem netten Satz über den "Eldaring":
"Gruppen wie der Eldaring sehen keinen Zusammenhang zwischen Hautfarbe und Religion und treten für eine demokratische Gesellschaft ein."[7]
Da schweigt der Rezensent dann vor Freude.

Insgesamt eine sehr lesbare Sammlung – mit Höhepunkten und Ausnahmen.


  1. Puschner, S. 84
  2. Ebenda, S. 92
  3. Sénécheau, S. 143
  4. Ebenda, S. 165
  5. Ebenda
  6. Ebenda, S. 169 ff.
  7. Banghard/Raabe, S. 186