Inklings Jahrbuch für Literatur und Ästhetik 22

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DIETER PETZOLD (HRSG.), INKLINGS JAHRBUCH FÜR LITERATUR UND ÄSTHETIK Band 22, 2004
Titelbild: »Eva und Lilith«, Holzschnitt, Augsburg 1470
Brendow Verlag, 358 Seiten

Dieser Band enthält die Beiträge zur Tagung »Religion in der Fantasy und Science Fiction«, die 2004 in Eichstätt stattfand. Dazu kommen zwei Artikel unter »Varia« und diverse Rezensionen.
Das Inklings Jahrbuch ist zweisprachlich, englische Artikel werden nur kurz auf Deutsch zusammengefasst (und umgekehrt andersherum).
Ich verfolge das Inklings Jahrbuch seit Anfang an, obwohl es immer wieder Artikel gibt, die ich nicht verstehe, das sei dem hohen literarischen Anspruch des Inklings Jahrbuch geschuldet.
Der erste Artikel ist Thomas Gerolds »Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern« über »Vergebung zwischen Fantasy und Theologie bei George MacDonald, Charles Williams und C. S. Lewis«. Die »gewisse Tendenz zum Okkulten« (S. 20), die MacDonald hier in einer Fußnote nachgesagt wird, zieht sich eigentlich durch sein gesamtes Werk. Auch bei der Frage nach der Umkehr in den NARNIA-Büchern von Lewis kann ich mich dem Autor nicht anschließen. Ein Artikel, der vor bestimmten Themen abbiegt und leider nicht tief genug schürft.
Thomas Amos’ »Der Teufel« über dessen Auftauchen in der Literatur des 19. Jahrhunderts hat mich nicht überzeugt. Umso schöner ist es, dass Anna Tomczyk in »Gott wird Mensch oder Mensch wird Gott?« Robert Hugh Bensons Lord of the World (deutsch als Der Herr der Welt erschienen) der Vergessenheit entreißen will.
Andrey Tarkovskis Filme habe ich nicht verstanden, daher muss ich bei »In search of faith« von Maria Kozyreva und Vera Shamina passen.
»No Religion? Are we stones, on Annares?« von Raimund Borgmeier handelt – wie der Titel vermuten lässt – von Ursula Le Guins Planet der Habenichtse und der ERDSEE-Trilogie. Ein guter Artikel, der Le Guin als echten Klassiker wieder einmal beleuchtet.
Johannes Rüster (der auch schon in Magira veröffentlicht hat), bietet mit »Imitationes Christi?« über Michael Moorcocks Behold the Man und Philip Jose Farmers JESUS ON MARS (auf Deutsch missverständlich als DER ERLÖSER vom Mars erschienen) leider nur leichte Kost. Während Moorcock seine großen Arbeiten im Bereich der Fantasy im filigran verwobenen EWIGER HELDEN-Mythos verfasst hat und Farmer mit seinen diversen Tarzan- und Doc Savage-Verquickungen Deutlicheres zum Thema Religion geleistet hat, sind die beiden gewählten Werke nicht zentral im Schaffen der beiden Autoren.
Über Mary Doria Russell und ihre SF-Romane ist viel geschrieben worden. Alexandra Lembert bietet mit »Die Suche nach ›dem Anderen‹« eine gute Einführung, mehr aber nicht. Ähnlich geht es Thomas Fornet-Ponse mit »The Gods play games with the fate of men« über Terry Pratchett. Immer wieder Johannes Rüsters »The Turtle Moves!« zitierend, bietet er wenig Neues (für den Fantasy-Leser und Rollenspieler ist die These, dass Götter nur durch den Glauben der Menschen an sie geschaffen und gestärkt werden, schon Jahrzehnte nichts Neues – seit De Camp ist aus dem Thema nichts mehr herauszuholen).
»Zukunft im Rückspiegel« von Elmar Schenkel beschäftigt sich mit »Mythos, Religion und Wissenschaft« in Peter Ackroyds The Plato Papers. Und natürlich darf auch Pullmans HIS DARK MATERIALS nicht fehlen, so äußert sich Christian Kölzer in »Ye shall be as gods« dazu.
Unter Varia erscheint dann eine der zwei echten Perlen des Buches: »Die Fantasy Fiction und die fordistische Gesellschaft« von Darko Suvin. Der Untertitel »Ein erster Zugang zu einigen Problemen und Fragen der Fantasy bis zu und inklusive Tolkien« ist schon eine Freude an sich. Schön ist, wie Suvin die Fantasy erst kurz definiert. Und dann die faszinierenden Fußnoten – »Der sonst oft leicht einseitige Alpers hat in diesem Kernpunkt völlig recht.« (S. 188). Das freut einen doch.
Zu echter Form fährt Suvin dann später auf: »Es ist daher kaum überraschend, wenn auch nicht gesund, dass einige Schichten der Bevölkerung ihr Heil in allen möglichen okkulten Künsten suchen, der Magie oder einer Rückkehr zu reaktionär reanimierten religiösen Glaubensvorstellungen, und so vor der entfremdeten Vernunft in die Arme unfalsifizierbarer Doktrin flüchten. Wie es mit Dogmen so ist – die unsichtbare Hand des freien Markts als Weg zu universaler Zufriedenheit war auch nicht gerade besser als die Reinwaschung durch das Blut oder eben durch UFOs.« (S. 190) Wer außer Suvin kann es schon wagen, Tolkien im Kontext von Lohnsklaverei und Großbesitz zu kritisieren? Sauron und Saruman als Exponenten der Industrie – und ihr Gegner ist jemand, »dessen Legimitation aus der Erbfolge der alten Landbesitzer- und Herrscherklasse bezogen wird, die durch eine Blut- und Feuertaufe erneuert wird (Aragorn)« (S. 207). Fantastisch.
Die zweite Perle ist dann »Was besagt die Untersuchung von Magie für Tolkiens Werk?« von Karl R. Kegler, Thomas Fornet-Ponse und Adelheid Kegler. Hier schlägt die Inklings-Gesellschaft mit voller Macht auf fast dreißig Seiten gegen einen Artikel von Michael K. Hageböck aus dem letzten Inklings Jahrbuch namens »Kunst und Technik: Anmerkungen zu Tolkiens »Magie«-Begriff«. An anderen Orten wäre das ein langer Leserbrief, hier wird das zu einem Gemetzel durch Text und Fußnoten (ein Beispiel für eine Fußnote sei erlaubt: »Sie verweisen auf die Fronstellung, in der sich Hageböck empfindet, wenn er eine christliche Deutung eines populären Werkes der phantastischen Literatur (...) gegen die Gefahr entwirft, das Buch könne in einem esoterischen oder sogar areligiösen Sinn missverstanden werden.«, S. 216). Auch schön, wie immer wieder auf »veraltete Ausgaben« verwiesen wird, auf die sich Hageböck bezieht (wieder in einer Fußnote, aber auf S. 221). Der Ton ist zum Teil hämisch, aber treffend – »Wer nicht wahrnimmt, dass die gesamten NARNIA CHRONICLES um die Motivik der Renaissance-Magie kreisen, ist blind oder will es sein.« (S. 232) Da bleibt einem der Eindruck, dass der Artikel von Hageböck im letzten Inklings Jahrbuch am Besten gar nicht veröffentlicht worden wäre.
Dann folgt noch ein Artikel von Karl R. Kegler über »Poes ›Conqueror Worm‹ – ein manieristisches Nachtstück«. Abgerundet wird der Band mit fast hundert Seiten Rezensionen.
Ein Fazit ist schwierig. Dieses Jahr war ich nicht von der Mehrheit der Artikel im Inklings Jahrbuch begeistert. Aber bei 22 Bänden muss man das nicht sein. Die Inklings Gesellschaft ist aber sehr zu empfehlen und das Inklings Jahrbuch ist immer wieder gut zu lesen – normalerweise nicht nur wegen der Streitereien zwischen den Autoren, sondern wegen der irren inhaltlichen Dichte, die von keinem anderen Werk zur Phantastik auf diesem Niveau erreicht wird. Auch wenn sie Magira nie rezensieren. Wahrscheinlich sind wir denen zu unwissenschaftlich – oder streiten zu wenig.
Wer mehr über die Inklings erfahren will: Die Kontaktadresse für die Inklings ist Irene Oberdörfer, Ringofenweg 6, 47877 Willich.