Lesen unter Hitler

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Christian Adam
"Lesen unter Hitler - Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich"

Der Titel sagt alles über die Intention des Buches aus. Das ist auch gut so, denn deswegen habe ich das Buch erworben. Die einzige Studie zur deutschen Science Fiction im Dritten Reich, die zitiert wird, ist das Buch von Manfred Nagel aus dem Jahre 1972 über "Science Fiction in Deutschland".[1] Die Begründung liefert der Autor in einem größeren Bogen mit: "Sich mit dem zu befassen, was nachweislich Hunderttausende lasen, galt und gilt vielfach bis heute als »unfein«. Viele erfolgreiche Texte jener Jahre [des Dritten Reichs, HR] werden unter der Rubrik Trivialliteratur verbucht und abgehakt.[2] Dass nun anders werden soll, hat sich Adam auf die Fahne geschrieben (obwohl wir das Problem für die Science Fiction noch gut genug kennen). Und es ist ihm gelungen, ein ausgesprochen lesenswertes Buch zu verfassen, das am Rande immer wieder die Science Fiction beleuchtet. Auf diese Schlaglichter möchte ich zu sprechen kommen.
Die SF boomte nicht in den Jahren vor dem Krieg, aber auf einer Umfrage aus dem Jahr 1933 kann man herauslesen, dass zu den meistgelesenen Autoren auch Jules Verne und Aldous Huxley gehören.[3] Interessant ist zu lesen, wie sich der Technikroman neben und mit dem SF-Roman entwickelte, wie Sachbuchartige Texte neben erzählender Literatur wie Bernhard Kellermanns "Der Tunnel" existierte: "'Der Zukunftsroman im Deutschland der dreißiger und vierziger Jahre steht dem Technik- und Rohstoffroman näher als dem, was man heute gemeinhin als Science-Fiction [sic] bezeichnet."[4] Die Marktbeobachtung geht weiter: "Insgesamt erschienen zwischen 33 und 45 einige hundert Zukunftsromane, die man heute unter dem Label Science-Fiction verkaufen würde."[5] Hans Dominik tauchte auf diversen Leselisten auf – von namentlichen Nazis über die normale Bevölkerung.[6] Er ist der einzige Autor im Bereich Science Fiction, der es auf die vom Autor erstellte Bestsellerliste der 50 meistverkauften Bücher brachte – und zwar auf Platz 37 mit "Land aus Feuer und Wasser".[7]
Für uns heute erheiternd ist, wenn der Versuch englische Einflüsse zurückzudrängen im Bann gegen Lok Myler (Paul Alfred Müller, besser bekannt als der Vater von „Sun Koh“) und C. V. Rock (Kurt Walter Röcken, dessen Jugend-SF ich sehr gerne gelesen habe) endete.[8] Clark Darlton alias Walter Ernsting und seine Nachkriegsmitstreiter waren gezwungen, sich englischsprachige Autorennamen zu suchen. Ihre Vorgängergeneration wurde wegen derselben Entwicklung verdammt. Aber gerade "Sun Koh" ist ein Musterbeispiel dafür, wie sich Autoren und Verlage dem System angepasst haben. Unter dem Titel "Ein »Neger« verschwindet" geht Adam der Zensurschere im Kopf der Herausgeber nach, die dafür sorgte, dass nur erschien, was systemkonform war – oder dem Bild entsprach, dem man sich von systemkonformer Literatur machte.[9]
Erwähnt wird Stanislaus Bialkowski, "Sachbearbeiter in einem Flugzeugwerk" und SF-Autor.[10] Immerhin urteilte das Propagandaministerium: "Die Bücher von Bialkowski werden sämtlich negativ beurteilt."[11] Auch ein Lob, wenn es zu seiner heutigen Verbreitung als Autor auch nichts beigetragen hat.
Bisher unbekannt war mir der Roman "Gloria" (eigentlich: "Gloria über der Welt") von Wilfrid Bade.[12] Bade – NSDAP-Mitglied seit 1930 – ist einer der wenigen Linientreuen unter den genannten Autoren.
Erstaunlich ist die Aufspaltung der Literaturszene in zwei Lager nach der Teilung Deutschlands – und irgendwie überraschend, dass ein Autor wie Bernhard Kellermann dem DDR-Lager zugeordnet wird, obwohl man ihn eher dem technischen Zukunftsroman zuordnen sollte.[13]
Neben der kleinen Exkurse über die Science Fiction ist dies – wie gesagt – ein gut zu lesenden Buch. Am Ende zieht Adam eine Bilanz: "Hätte es genügend regimetreue Autoren gegeben, die für diesen Markt zu schreiben im Stande gewesen wären: Die Schriftumslenker hätten sie in Stellung gebracht. Allein sie waren rar. (…) Was für eine – aus Sicht der NS-Kulturgewaltigen – magere Gesamtbilanz nach zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft über den Buchmarkt."[14]

Dafür kann man dankbar sein.


  1. S. 11, Fußnote 6 – siehe S. 325
  2. S. 17
  3. S. 59
  4. S. 196
  5. S. 193
  6. S. 81, S, 89
  7. S. 324
  8. S. 30
  9. Vgl. S. 210 ff.
  10. S. 22
  11. ebenda
  12. S. 103
  13. S. 311
  14. S. 322