Plastikkarten

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Schlaraffen hört!

Ich bin kein Freund von Plastikkarten. Die Frage nach der Deutschland-Card an der Kasse des Getränkemarkts nervt mich nicht nur deswegen, weil die unselige Denglische Idee einer "Deutschland-Card" niemals mit einer "Germany-Karte" konkurrieren könnte.
Es geht nicht nur um die Datenschutz-Fragen, die von solchen elektronischen Plastik-Informationssammelnetzen aufgeworfen werden. Ich mag sie einfach nicht. Die einzige Ausnahme ist meine Bahn-Bonus-Karte.
Da ich regelmäßig meine Mutter besuche – die, falls ich das noch nicht erwähnt haben sollte, in dem selben Ort wohnt wie jenes Reych, aus dem ich komme, das ebenso selten erwähnt eine Praga-Tochter ist – und bei den Mutter-Besuchen wieder besseres Wissen und trotz der bisherigen Erfahrungen die Bahn benutze, sammele ich brav Bonuspunkte über meine Karte, die ansonsten nichts kann. Es ist fast schon unüblich, ein Stück Plastik im Geldbeutel zu haben, das nicht über eine Bezahlfunktion, Sammelpunkte oder über eine erweiterte Ortbarkeit bei der Entführung durch Außerirdische verfügt.
Man muss mit kleinen Mängeln leben können. So sammelt meine Karte treu und brav meine Bonuspunkte für Fahrten, auf denen in schonungsloser Regelmäßigkeit auf Grund eines Zufallsgenerators immer wieder Durchsagen in den Zügen erzeugt werden, die wegen ihrer grammatikalischen Schlichtheit schon wieder Freude auslösen.
"Unsere Weiterfahrt verzögert sich wegen eines vorausfahrenden Zuges."
"Wegen eines kurzfristigen Personalausfalls entfallen alle Verbindungen nach Gütersloh."
"Bitte beachten Sie die geänderte Wagenreihenfolge."
Verständlich ist von diesen Kommentaren nur das Trennen von Gütersloh vom restlichen Bundesgebiet, was den öffentlichen Nahverkehr angeht. Das ist städtebaulich nachvollziehbar und sicherlich dazu gedacht, um die Weitergabe des Gütersloher Genpools über die Grenzen der Gemarkung hinaus zu vermeiden.
Meine Bonus-Karte sammelt also brav Punkte. Für den anstehenden Besuch bei meiner Mutter – 3. Advent samt Übergabe der liebevoll angehäuften Geschenke – hatte ich genug Punkte zusammen, um mir eine Freifahrt erster Klasse Hin- und Zurück zu gönnen. Da ich die Äpp (schlimmes Wort, das für den Hessen nach Äppler klingt, also Apfelwein, den ich wiederum überhaupt nicht leiden kann, obwohl ich ja aus Hessen stamme, nebenbei aus einem Reych, das eine Praga-Tochter ist – falls ich das noch nicht erwähnt haben sollte) nicht auf meinem Mobiltelefon installiert habe, muss ich meine elektronischen Nachrichten lesen, um zu erfahren, was die Bahn mir Kluges an aktuellen Informationen zu meinen Buchungen mitzuteilen hat.
Da kam dann gestern die Meldung, dass für meine Fahrt in etwas über drei Wochen mit Verzögerungen wegen Baustellen und Zugausfällen zu rechnen ist. Erst dachte ich, dass das die automatische Antwort der Deutschen Bahn wäre – egal, was man jetzt elektronisch bucht, man bekommt automatisch den Hinweis, dass irgendeiner der gebuchten Züge in falscher Reihenfolge kommt, zwei Drittel der Züge ohne "gastronomischen Service" auskommen und überhaupt immer mit Baustellen und/oder Verzögerungen zu rechnen ist.
Dem ist nicht so. Es bezog sich tatsächlich nur auf einen der von mir gebuchten drei Züge – den mittleren – was zumindest für mich die Frage aufwirft, warum ich laut Mitteilung mit einem pünktlichen Zug 3 mein Ziel erreichen kann, wenn der mich zum Umsteigepunkt befördernde Zug 2 ausfällt. Das bleibt ein Mysterium der Bahn.
Überhaupt, diese Euphemismen – der Begriff "gastronomischer Service" enthält gleich zwei Lügen, nämlich die Hinweise auf Gastronomie und Service in Verbindung mit einem Angebot der Deutschen Bahn – nehmen überhand, weil wir es zulassen, dass es keinen Winterschlussverkauf mehr gibt, aber einen "Black Friday". Wenn ich einen Freitag, als schwarz bezeichne, dann ist das gut, Winterschlussverkauf ist schlecht, und einen schwarzen Menschen als schwarzen Menschen zu bezeichnen führt dazu, dass man wegen unpopulärer Aussagen ausgegrenzt wird.
Aber mit Ausgrenzung muss und kann ich als Schlaraffe leben, denn ich glaube nicht, dass eine Schlaraffen-App auf meinem Handy oder ein online Lifestyle-Magazin dazu führen, dass wir mehr Mitglieder comitten, sich in unserer location zu treffen.
Da bleibt die Bahn als Feind jedes Sprachpanschens doch irgendwie sympathisch. Der Zug kommt zu spät, dass ist beim Einsteigen sicher und gehört eigentlich schon zum gebuchten Angebot dazu. Er fährt zu spät ab und kommt zu spät an, aber die Durchsagen sind erst auf Deutsch und dann in Fernzügen in einer Sprache, die ein wenig an mein Schulenglisch erinnert, dass von einem Mitarbeiter der Deutschen Bahn in ein Trichtermikrophon gelispelt wird, während er dabei zwei Gewürzgurken im Mund mit der Zunge jongliert. Aber das ist ein anderes Thema, das ich mir für eine zukünftige Fexung aufhebe – oder die Ideen dazu für einen kleinen Betrag an einen Ansassen der Junkertafel verkaufe, die schon per Definition ohne eigene Ideen sind.
Ich bin kein Freund von Plastikkarten. Mein ganzes Leben ist was soziale Kontakte betrifft mehr "retro" als modern, aber dieses Auflehnen gegen die Moderne hat auch etwas Schlaraffisches: Als Rückzugsort in eine lauschige, Prä-Online-Zeit ist die Burg dem Schlaraffen auch Entschleuniger und Beruhiger.
Und bei Entschleuniger bin ich wieder beim Anfang und bei der Deutschen Bahn.

Lulu!