Retter alter Romanhefte

Aus hermannritter.de
Wechseln zu: Navigation, Suche

Es ist 5.55 Uhr früh. Ich stehe ohne Frühstück und Kaffee im Bauch vor dem Werkstor von Pabel in Rastatt. Mein Gewährsmann soll hier gleich aufschlagen, um mich unter das Dach in das Archiv zu bringen. Heute sollen es 39 Grad werden, also "oben" wohl eher 42 Grad. Dazu kann man in vielen Gängen nur gebückt arbeiten, wenn man nicht damit beschäftigt ist, sich die Nase zu putzen, weil der Staub in Archiven ist uralt und gefährlich. Wenn man jetzt noch anmerkt, dass ab und an auf dem Speicher in Stirnhöhe Querbalken eingezogen sind, das Licht nur flackernd funktioniert und die wenigen durchsichtigen Öffnungen im Dach aus einer Plastiksorte bestehen, die wahrscheinlich in den letzten Jahrzehnten nicht gereinigt worden ist, dann kann man sich vorstellen, dass es mittelalterliche Bergwerke gibt, gegen die mein heutiger Arbeitsplatz paradiesisch wirkt.
Dazu kommt, dass ich nicht in der Heimat in Ostwestfalen bin, sondern noch hinter Karlsruhe, damit beinahe in Frankreich und am Mittelmeer – gestern war ich sechs Stunden auf der Autobahn, heute stehen mir weitere sechs Stunden Rückfahrt bevor, das alles in einem geliehenen Transporter, nicht in einem schnittigen Rennwagen.
Ich weiß jetzt schon: Es wird Stunden dauern, bis jemand von der "Perry Rhodan"-Redaktion vorbeikommt – wahrscheinlich nach Frühstück samt Kaffee und ohne die Anreise. Warum tue ich mir das an?
Eine Stimme in mir sagt "wegen der Nudeln zu Mittag mit Klaus", aber das ist nicht die ganze Antwort. Es ist schon richtig, dass ich in den letzten 25 Jahren gefühlt jährlich zu Besuch in der Redaktion war – als Autor, als Clubnachrichten-Redakteure, als PRFZ-Gründer oder –Vorstand, außerdem zu einem Firmenjubiläum (als Auktionator) und zu Vortreffen oder Nachtreffen zu gemeinsam veranstalteten Cons.
Dieses Mal ist es anders: Es ist wegen des Archives. In einer "alles muss raus"-Mentalität ziehen alle Redaktionen außer "Perry" nach Hamburg. Das ist kein Geheimnis, man erfährt das aus der Presse und kann es online nachlesen. Für die betroffenen Mitarbeitenden ist das nicht lustig, für das Archiv auch nicht – aber Archive schweigen.
Als Historiker und Sammler und Fan sind Archive aber noch mehr: Sie sind ein Hort der Vergangenheit, in dem sich alle jene Schätze befinden, die verloren gehen, wenn man sie nicht behütet. Und mit ihnen würde dann auch eine Geschichte verlorengehen, eine Verlags- oder Roman-Geschichte, die man schreiben müsste, aber nur schreiben kann, wenn man die Quelle noch hat. Und wenn es um das Archiv im Hause Pabel geht – da gibt es einfach niemanden außerhalb der engsten Verlagsmitarbeitenden, der sich dort besser auskennt als ich.
Dabei kommt mir zugute, dass ich in meinem Leben schon ein paar Mal für die Redaktion das Archiv durchgegangen bin. Einmal, weil ich erfassen sollte, was hier alles gelagert ist, das andere Mal, um eine Datenschutz-Einschätzung über die Entsorgung eines großen Teils des Konvoluts zu erstellen. Man darf nicht vergessen: nicht alles, was hier in den letzten Jahrzehnten gedruckt wurde, könnte man in einem Kindergarten auslegen – und damit meine ich nicht den inzwischen eingestellten "Landser". Für die eben schon einmal erwähnte Auktion auf dem Verlagsgelände haben wir damals einige schöne Sachen herausgesucht – und immer wieder bergeweise Dinge gekennzeichnet, die in den Müll können. Sollte es irgendwo ein Archiv für Rätselhefte geben – ich habe sie alle vernichten lassen. Auch das gehört dazu: Begrenzter Platz heißt, dass man Entscheidungen treffen muss. Manchmal kommt man sich dabei wie ein Sanitäter nach dem atomaren Erstschlag vor, der entscheiden muss, welche Patienten keine Hilfe mehr erhalten und welche es noch wert sind, dass man sich mit ihnen beschäftigt.
Fassen wir zusammen: Ich war archiv-affin, daher konnte ich mich anbieten, die für die "Phantastische Bibliothek" wichtigen Bestände zu sichern. Und das ist eine Menge. Immerhin wurde der Pabel-Verlag kurz nach dem Krieg gegründet, das Verlagsgebäude (dessen Silhouette gerne in den 70er-Jahren Anzeigen und Briefe aus dem Verlag schmückte) ist über 60 Jahre alt. Eine Menge Verlagsgeschichte lagert hier. Der Moewig-Verlag ist sogar schon 120 Jahre alt, und nach der Fusion zu VPM gab es hier noch einen dritten Teil, den man gerne vergisst: nach fast 40 Jahren eigener Existenz wurde der Zauberkreis-Verlag (ebenfalls in Rastatt) von Pabel gekauft, 1987 dann aufgelöst. Die wenigsten jungen Leser werden sich noch an die Serie "SF Science Fiction" aus dem Hause "Zauberkreis" erinnern, aber hier veröffentlichten zum Beispiel H. G. Francis, Uwe Anton, Wolfang Kehl, Andreas Brandhorst, Marianne Ehrig und Hans Peschke, aber auch Thomas R. P. Mielke und Ronald M. Hahn.
Dieses Archiv befindet sich auch hier im Gebäude (was ich ganz sicher aus der Vergangenheit weiß, denn ich habe mal eine Trennwand eingerissen, um es zu finden). Ich glaube, das macht man nicht in Archiven, von daher schildere ich das hier besser nicht.
Zurück zum Thema. Pabel, Moewig, Zauberkreis und alle ihre gemeinsamen Benennungen und Umbenennungen, bis hin zur "Perry Rhodan KG". Das sind Unmengen von Heftromanen und eine Reihe Taschenbücher, dazu Comics, Risszeichnungsbände, Sammelbilder, Karten und so weiter und so fort. Die Vorstellung, dass das vernichtet werden könnte, bereitete mir schlaflose Nächte. Also bot ich Hilfe an.
Außerdem kannte ich mich in den labyrinthischen Gängen aus. Ich wusste, was in den Verschlägen und Kriechgängen lagerte, hatte auf dem Bauch krabbelnd schon "Kommissar X"-Leihbücher entdeckt, mit einem Spatel Bilderrahmen auseinander gehebelt, war an "Bussi Bär"-Kisten vorbei bis zu diversen Astrologie- und Fußballführern (gerne gemischt in Kisten) bis in hinterste Ecken vorgedrungen, um mir erst den Kopf anzuschlagen, um dann aber einen Stapel alter "ZbV"-Romane zu finden. Und dann musste ich wieder eine halbe Minute innehalten, um daran zu denken, wie ich mit zwölf Jahren oder so die ersten Taschenbücher davon in die Finger bekam und verschlang. Ich kann heute noch "Hannibal Othello Xerxes Utan" sagen und glaube weiterhin, dass "Hyperkode Wüstenfuchs" mit zu den besten Namen gehört, die man einem Roman geben kann. Guter, alter Handgranaten-Herbert.
Aber an diesem Tag ging es darum, eine echte Rettungsaktion durchzuführen. Ganz ehrlich: Ich bin ungefährlich, wenn es um fremde Sammlungen geht. Ich habe mehrere Nachlässe von Fans aufgelöst, sammele seit fast 40 Jahren und verdiene genug, um mir zu leisten, was ich besitzen will. So viel ist das gar nicht, wenn man das mit den riesigen Lagern im Speicher von Rastatt vergleicht. Das ich mir die Taschen vollmache, weil mir noch "Perry Rhodan" 541 aus der 2. Auflage fehlt, das ist eher unwahrscheinlich. Von daher kann man mich unbewacht in solche Räumlichkeiten lassen.
Was musste getan werden? Ich hatte begrenzte Zeit, nur einen Transporter und nur meinen Körper zur Verfügung (auch wenn mir die Kläuse nachher halfen, die Kisten in den Transporter zu heben und behilflich waren, die letzte Treppe vom Dachboden hinab bis zur Ebene der Fahrstühle zu überwinden). Das war schon ein wenig gespenstisch, weil der Verlag zu 98 % nach Hamburg umgezogen ist – zumindest die leeren Gänge implizierten das, ebenso die über die Ladefläche wehenden Büsche, aber das ist ein anderes Thema.
Was habe ich also gemacht? In einer Hauruck-Aktion habe ich zwölf Bananenkisten mit Papier gefüllt. Dabei ging ich ganz pragmatisch vor. Ich hatte vorher mit der "Phantastischen Bibliothek" geklärt, was die brauchen (und für mich selbst überlegt, was sie auf jeden Fall auch brauchen).
Erstens Dinge, welche die "Phantastische Bibliothek" unmöglich haben kann. Zum Beispiel "Terra Fantasy"-Taschenbücher der Erstausgabe, in denen mit dem Kugelschreiber die Bearbeitungen für die Zweitauflage reingemalt sind. Zweitens Dinge, welche sicher in Wetzlar (in der "Phantastischen Bibliothek") vorhanden sind, aber nicht in so gutem Zustand. Dazu gehören die Ausgaben des "Utopia Zukunftsroman", die hier in Pappboxen so gelagert waren, dass sie fast "mint", also ohne Beschädigungen, schienen. Drittens Dinge, die ich als "Beifang" bezeichnen möchte: Alle Bände von "Plutonium Police", ein paar Sammelobjekte (das vereinzelte Leihbuch sei hier erwähnt) und einige wenige, aber dafür schöne Bildbände (z.B. "Mechanismo" von Harry Harrison und Jim Burns).
Also: Verschlag 1 aufmachen, Regale "abscannen", wichtige Dinge rausräumen. Im Gang eine erste Vorkontrolle (wie gesagt: begrenzter Platz, begrenztes Gewicht, begrenzte Zeit), dann die Sachen in eine Bananenkiste packen. Wenn die voll ist, sie zur Mitte des Ganges und damit zum Beginn des Treppenhauses tragen. Zurück zu Verschlag 1. Das wiederholt sich dann ungefähr zwölf Mal, bis man nassgeschwitzt, aber glücklich, die Heimkehr antreten kann.
Daheim habe ich dann mit drei Rollen Haushaltspapier den Staub entfernt, alles umgeladen, ein paar Dinge noch in das Altpapier entsorgt (weil mir auf dem Speicher nicht aufgefallen war, dass sie z.B. unvollständig waren), dann alles ordentlich umgepackt, mit einem kurzen Anschreiben versehen und nach Wetzlar geschickt.
Ich bin zufrieden – und die Redaktion war es auch. Jeder Heftroman, jedes Taschenbuch, das gerettet werden konnte, ist ein Teil Erinnerung. Und wer sich jetzt freut, der möge sich überlegen, ob er nicht einmal unter www.phantastik.eu nachschauen und sich überlegen, ob er nicht etwas spenden will – denn die Bibliothek braucht nicht nur Büchern, sondern auch Geld.

Nachsatz: Was habe ich nicht gefunden? "Sexton Blake" oder die ersten Bände von "Seewölfe", denn diese stammen von Adam Hardy alias Kenneth Bulmer alias Alan Burt Akers. Aber ich hoffe auf einen Folgetermin.